
Für den zweiten Aufschlag unserer im Januar gestarteten Reihe „Generation Z – Wie ticken heute unsere Jugendlichen?“ scheint neben der Shell-Jugendstudie die Einarbeitung einer weiteren Erhebung unerläßlich: die „Sinus-Jugendstudie“. Das hierfür verantwortliche Sinus-Institut erforscht seit 2007 die Lebenswelten und (Alltags-) Soziokulturen von Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren und veröffentlicht sie in einer systematisch-verdichteten und modellhaft-kategorisierten Form alle vier Jahre.
Im Unterschied zur auf diesem Blog im Januar vorgestellten, v.a. quantitativ ausgerichteten „Shell-Jugendstudie“ liegt der Fokus – methodisch und methodologisch gesehen – auf einem qualitativ angelegten Forschungsdesign. Die Grundgesamtheit der Befragten ist damit kleiner, die Befragtengruppe selbst außerdem jünger (jedenfalls 2016). Ihre qualitativ-empirische Erhebung umfasst narrative Einzelinterviews, offene Selbstausfüller-Fragebögen und Fotodokumentationen der Wohnwelten der Jugendlichen.
Forschungsleitende Fragen und wechselnde Schwerpunktthemen
Dem Anspruch, die soziokulturelle Vielfalt jugendlicher Lebenswelten einzufangen, sucht die Sinus-Jugendstudie mit folgenden forschungsleitenden Fragen weitestgehend nahezukommen.
- Wie leben und erleben Jugendliche ihren Alltag?
- Wie nehmen sie die gegenwärtigen Verhältnisse in Deutschland und in der Welt wahr?
- An welchen Werten orientieren sie sich?
- Welche Lebensentwürfe verfolgen sie?
Darüber hinaus werden in jeder Studie neue inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. Während zum Beispiel 2012 die Themen Zukunftsvorstellungen, Vergemeinschaftung, Medien, Schule und Lernen, berufliche Orientierung, gesellschaftliches und politisches Interesse, Glaube, Religion und Kirche sowie Engagement ins Visier genommen wurden, waren es 2016 die Themen digitale Medien und digitales Lernen, Mobilität, Nachhaltigkeit, Liebe und Partnerschaft, Glaube und Religion, Geschichtsbilder, Nation und nationale Identität sowie Flucht und Asyl. (Mit großer Spannung werden übrigens die Ergebnisse nebst ihrer Schwerpunktthemen der neuesten Sinus-Jugendstudie im Frühjahr 2020 erwartet, welche in diesem Blog dann umgehend erläutert werden!)
Sinus-Modell: Soziokulturelle Vielfalt der jugendlichen Lebenswelten
Doch zunächst grob zusammengefasst seien die Ergebnisse der bisher aktuellsten Sinus-Jugendstudie von 2016 vorgestellt, die anhand des im Rahmen der Studie hervorgebrachten Modells für die Lebenswelten der Jugendlichen veranschaulicht und erläutert werden:

Erläuterung der Kategorien jugendlicher Lebenswelten bzw. Milieus:
Lebenswelt | Kurzbeschreibung |
Konservativ-Bürgerlich | Die familien- und heimatorientierten Bodenständigen mit Traditionsbewusstsein und Verantwortungsethik |
Sozialökologische | Die nachhaltigkeits- und gemeinwohlorientierten Jugendlichen mit sozialkritischer Grundhaltung und Offenheit für alternative Lebensentwürfe |
Expeditive | Die erfolgs- und lifestyle-orientierten Networker auf der Suche nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen |
Adaptiv-Pragmatische | Der leistungs- und familienorientierte Mainstream mit hoher Anpassungsbereitschaft |
Experimentalistische Hedonisten | Die spaß- und szeneorientierten Nonkonformisten mit Fokus auf Leben im Hier und Jetzt |
Materialistische Hedonisten | Die freizeit- und familienorientierte Unterschicht mit ausgeprägten markenbewussten Konsumwünschen |
Prekäre | Die um Orientierung und Teilhabe bemühten Jugendlichen mit schwierigen Startvoraussetzungen und Durchbeißermentalität |
Auch wenn sich die verdichteten Kategorien der oben eingefassten Sinus-Jugendstudie am Ansatz des Sinus-Milieus anlehnt, unterscheidet sich das Modell für die Jugendlichen durchaus vom Modell für die deutsche Gesamtbevölkerung:
- Die vertikale Achse bildet den nächsten angestrebten Schulabschluss ab. Dieser korreliert in Deutschland signifikant mit dem sozialen Hintergrund bzw. Bildungs-Hintergrund des Elternhauses. Das Erwachsenenmodell legt hier die soziale Schichtzugehörigkeit offen.
- Auf der horizontalen Achse zeichnen sich die Werthaltungen der jungen Generation ab, die heute mehr einer „Sowohl-als-auch-Logik“ folgt als einer „Entweder-oder-Logik“ der Erwachsenen. Deshalb sind die normativen Grundorientierungen der jungen Alterskohorte nicht klar zu trennen, sondern sie überlappen sich.
Mehr „Sowohl-als-auch“ als „Entweder-oder-Logik“
Grundsätzlich für die Ergebnisse als charakteristisch festzuhalten ist aus eben genannter Beobachtung die Gleichzeitigkeit von auf den ersten Blick schwer zu vereinbarenden Werten. Denn in unsicheren Zeiten besinnen sich Jugendliche in allen Lebenswelten auf „traditionelle“ Werte wie Sicherheit, Pflichtbewusstsein, Familie und Freundschaft. Diese werden jedoch besonders in den moderneren Lebenswelten umgedeutet bzw. symbolisch aktualisiert. Heraus kommen dabei nicht selten hedonistische, ich-bezogene Entfaltungsbestrebungen, eingerahmt von einem individualistischen Leistungsethos. Daraus ergibt sich eine postmodern-flexiblen Wertekonfiguration für die Mehrheit der Jugendlichen, während nur wenige einem überholten Traditionalismus folgen.
Ergebnisse aus den einzelnen Schwerpunktthemen werden in der nächsten Folge vorgestellt.